Pressemitteilung: Neue EU-Kommission – ein Coup Brüsseler Kompromissfindung

Am 18. September hat Kommissionspräsidentin von der Leyen die Portfolios für ihre neue Kommission vorgestellt. Diese kommentiert Anna Cavazzini, Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments:

“Kommissionspräsidentin von der Leyens Vorschlag für die neue EU-Kommission ist ein weiterer Akt in ihrem Machtgerangel mit den Mitgliedstaaten. Der Versuch, in den Portfolios alle Interessen unter einen Hut zu bekommen, ist ein Coup Brüsseler Kompromissfindung. 

Der Vorschlag, Raffaele Fitto zum Exekutiven Vizepräsidenten zu ernennen, ist eine falsche Konzession an Giorgia Meloni und ihre postfaschistischen Brüder Italiens. Ursula von der Leyen setzt damit ein großes Fragezeichen hinter ihr Bestreben, die Europäische Union in den nächsten fünf Jahren politisch fest in der demokratischen Mitte zu verankern.

Erfreulich sind die Zuständigkeiten der designierten Exekutiven Vizepräsidentin Teresa Ribeira, die verantwortlich sein wird für den grünen Übergang in einem mächtigen Portfolio, zu dem auch wirtschaftliche Kompetenzen gehören. Auch ein explizites Portfolio zu Kreislaufwirtschaft bei Jessika Roswall ist ein wichtiges Zeichen. Damit stehen die Chancen gut, dass die nächste Europäische Kommission die grüne Transformation weiterhin hoch und kohärent auf der politischen Agenda hält. So kann die Europäische Union die Grundlagen der Wettbewerbsfähigkeit von morgen schaffen.

Dass der Binnenmarkt ein eigenes Portfolio bleibt, unterstreicht seine Wichtigkeit in der grünen und digitalen Transformation. Nach dem personalpolitischen Stunt um den ausgehenden Binnenmarktkommissar Thierry Breton soll sein Nachfolger Stéphane Séjourné im Exekutiven Vizepräsidentenamt zudem die Zuständigkeit für Industriepolitik bekommen. Ich erwarte, dass er in dieser Funktion eng mit der für den grünen Übergang zuständigen Exekutiven Vizepräsidentin zusammenarbeitet, um Binnenmarkt und Industrie auf Transformationskurs zu halten. Zu lange wurde keine Politik aus einem Guss gemacht. 

Ich halte es für einen Fehler, den Verbraucherschutz abzuwerten und in den Zuständigkeiten des Justizkommissars zu verstecken. Denn in der vergangenen Legislaturperiode haben genau die Dossiers, die Verbraucherschutz und den grünen Wandel verbinden die Transformation für die Bürgerinnen und Bürger in Europa greifbar und verständlich gemacht. 

Eine horizontale Verantwortung für die Durchsetzung und Vereinfachung quer durch alle Portfolios wäre sinnvoller gewesen, als einem Kommissar symbolisch diese Zuständigkeiten zu übertragen. Bisher mangelte es bei der Durchsetzung nicht an einer Zuständigkeit, sondern am politischen Willen, gegen Mitgliedsstaaten beispielsweise durch ein Vertragsverletzungsverfahren vorzugehen.”

Hintergrund und unsere Bewertung:

  • Teresa Ribera wird Exekutiv-Vizepräsidentin für einen sauberen, gerechten und wettbewerbsfähigen Übergang. Sie wird auch für die Wettbewerbspolitik zuständig sein.
    • Sie wird ein Schwergewicht in der neuen Kommission sein. Als Vizepräsidentin wird sie unabhängig sein, um sich mit der Wettbewerbspolitik zu befassen. Die Verbindung zwischen Dekarbonisierung und Industrialisierung ist wichtig und strategisch, und darf von Séjourné nicht umgangen werden. Wir begrüßen ihre Nominierung und ihr Portfolio
  • Stéphane Séjourné wird der Exekutiv-Vizepräsident für Wohlstand und Industriestrategie. Er wird auch für das Portfolio Industrie, KMU und Binnenmarkt verantwortlich sein.
    • Die grüne und digitale Transformation des Binnenmarktes wird in der Beschreibung des Ressorts von Séjourné nicht erwähnt. Von der Leyen bestand darauf, dass der Kampf gegen den Klimawandel ein übergreifendes Anliegen ihres Kollegiums sei. Séjourné und Ribera werden sehr eng und synchron zusammenarbeiten müssen.
  • Maroš Šefčovič wird Kommissar für Handel und wirtschaftliche Sicherheit, was auch die Zollpolitik umfasst. Er wird auch Kommissar für interinstitutionelle Beziehungen und Transparenz sein.
    • Die verstärkte Verbindung zwischen Handel und wirtschaftlicher Sicherheit signalisiert eine Verschiebung im Ansatz der EU. Wir können davon ausgehen, dass der Handelsschutz, insbesondere gegenüber China, stärker in den Fokus rückt. Es ist eine gute Nachricht, dass ein hochrangiges Mitglied des Kollegiums wie Šefčovič für den Zoll zuständig sein wird. Der Zoll ist die Haut des Binnenmarktes und befindet sich mitten in sehr strategischen Reformen. Seine Erfahrung könnte sowohl bei Handelsverhandlungen als auch beim Zoll den entscheidenden Unterschied ausmachen.
  • Valdis Dombrovskis wird Kommissar für Wirtschaft und Produktivität und Kommissar für Umsetzung und Vereinfachung sein.
    • Es ist unklar, wie sich das Ressort Wirtschaft und Produktivität zum Ressort Handel  (Šefčovič) und Industrie (Dombrovskis) verhält. Es ist eine enge Koordination erforderlich, um sicherzustellen, dass die Handelspolitik unsere industriellen Ziele unterstützt. Sowohl Handel als auch Wirtschaft und Produktivität werden unter dem Exekutiv-Vizepräsidenten für Wohlstand und Industriestrategie zusammengefasst. Bei ihrer Arbeit dürfen die Transformationsaspekte nicht vergessen werden. Das Ressort Vereinfachung darf nicht zu einem Deregulierungsschub führen.
  • Michael McGrath wird Kommissar für Demokratie, Justiz und Rechtsstaatlichkeit. Er wird auch die Arbeit in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und Verbraucherschutz leiten.
  • Jessika Roswall wird Kommissarin für Umwelt, Wasserresilienz und eine wettbewerbsfähige Kreislaufwirtschaft.
    • Dieses Ressort ist sehr zu begrüßen. Allerdings hätte der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft eine übergreifende Priorität sein müssen, sie sich bei einem oder einer Exekutiven Vizepräsidenten oder Präsidentin wiederfindet.