Energiezukunft: Im Maschinenraum der europäischen Gesetzgebung

Als Vorsitzende des Binnenmarktausschusses ist Anna Cavazzini entscheidend an Gesetzen beteiligt, die uns alle betreffen. Was das ist und warum sie das Europaparlament dem deutschen Bundestag vorzieht, schildert sie im Interview.

Der Umweltminister Schleswig-Holsteins, Jan Philipp Albrecht, hat Sie kürzlich als eine der einflussreichsten Politiker:innen Europas bezeichnet. Stimmt das?

(lacht) Natürlich ist es schwierig, das selbst einzuschätzen. Aber was er sehr wahrscheinlich damit sagen wollte ist, dass der Binnenmarktausschuss, dem ich vorsitze, als Maschinenraum der europäischen Gesetzgebung gilt. Was im Binnenmarktausschuss diskutiert wird, hat wesentlichen Einfluss auf das tägliche Leben der Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union. Ich glaube darauf bezog sich Jan Philipp Albrecht.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, was im Binnenmarktausschuss passiert?

Wir haben unglaublich viel im Bereich der Kreislaufwirtschaft vor. Konkret schreibe ich gerade an Änderungsanträgen für einen Kommissionsvorschlag zu gemeinsamen Ladekabeln. Jede und jeder von uns hat wahrscheinlich einen riesigen Kabelsalat zuhause, für verschiedene Laptops, Tablets und Smartphones. Dadurch entstehen Unmengen Elektroschrott. Wir wollen erreichen, dass es einen Standard gibt – ein Ladekabel für alle Geräte. Das spart eine Menge Kabel und am Ende Elektroschrott. Sehr relevant ist gerade auch das Thema digitaler Binnenmarkt. Wir sind dabei die großen Tech-Unternehmen Facebook, Google, Amazon und Co. stärker zu regulieren, mit positiven Auswirkungen für einzelne Userinnen und User, sowie kleine und mittelständische Unternehmen.

Für Ende Februar ist ein neuer Entwurf der EU-Kommission zum Lieferkettengesetz zu erwarten. Damit beschäftigen Sie sich im Binnenmarktausschuss auch, oder?

Für ein Lieferkettengesetz haben wir Grüne unglaublich lange gekämpft. Als Europaparlament haben wir kein Initiativrecht. Wir müssen immer warten, bis die Kommission einen Gesetzesvorschlag vorlegt. Wir können die Kommission aber dazu auffordern. Es glich einem Marathon, die Kommission überhaupt dazu zu bringen einen Gesetzesvorschlag zu machen. Nach drei Verschiebungen kommt nun endlich eines. Meiner Meinung nach ist ein europäisches Lieferkettengesetz das Instrument, um Globalisierung gerecht zu gestalten.

Was erhoffen Sie sich von dem Vorschlag der EU-Kommission?

In einer politischen Resolution hat sich das EU-Parlament schon im vergangenen Jahr für ein starkes Lieferkettengesetz ausgesprochen – mit Haftungsregeln, die sicherstellen, dass Opfer entschädigt werden können und für ein Gesetz, dass für die gesamte Lieferkette gilt und damit stärker ist als das deutsche Lieferkettengesetz. Wir hoffen, dass die Kommission dem Parlament folgt.

Wieviel Macht haben Sie denn als Vorsitzende des Binnenmarktausschusses auf bestimmte Gesetzgebungsverfahren?

Als Ausschussvorsitzende bin ich nicht in alle Gesetzesverhandlungen in jedem Detail involviert, aber ich fungiere als Sprachrohr des Ausschusses und kann in verschiedenen Konferenzen und bei Treffen mit der Kommission Standpunkte vertreten. Auch gegenüber der Öffentlichkeit erkläre ich die Standpunkte des Ausschusses. Und – das ist jetzt sehr intern, aber wichtig zu wissen – es gibt immer Kompetenzstreitigkeiten im Parlament, welcher Ausschuss, welche Vorgänge bekommt. Da stehe ich dafür ein, dass unser Ausschuss auch die für uns relevanten Vorgänge bekommt.

Die Kommission legt dem Europäischen Parlament und dem Rat der EU Gesetzesvorschläge vor. Diese werden dann innerhalb der beiden Institutionen beraten und angenommen oder abgelehnt und dann an die EU-Kommission zurückgereicht. Dieser Prozess kann bis zu drei Runden, sogenannte Lesungen, drehen.

Ich versuche im gesamten Gesetzgebungsprozess zwischen Parlament, Rat und der Kommission zu vermitteln. Das geschieht zwischen den Europäischen Institutionen im sogenannten Trilog, dem ich vorsitze. Das sind oft sehr schwierige Verhandlungen, weil Rat und Parlament meist nicht sehr nah beieinanderliegen und das Parlament oft progressivere Dinge durchsetzen will.

Würde es sie reizen auch in Deutschland, etwa im Bundestag, Politik zu machen?

Ich schätze es sehr, dass man hier im Europaparlament wirklich an Gesetzen mitarbeitet. Auch als einzelne Abgeordnete kann man aktiv dazu beitragen Gesetze voranzubringen. Im Bundestag waren die Grünen lange in der Opposition, wo einem im Gesetzgebungsprozess fast vollständig die Hände gebunden sind. Inzwischen regieren die Grünen zwar mit, aber ich bin nach wie vor sehr glücklich hier. Allein dieses Gefühl im Europaparlament mit Menschen aus der ganzen EU zusammenzuarbeiten und das auch Fraktionsübergreifend, ist sehr reizvoll.

Woher kommt ihre Begeisterung für Europa?

In meiner Jugend habe ich bei Schüleraustauschen in Europa mitgemacht und habe es sehr geschätzt bereits damals Europa erleben und erfahren zu dürfen. Nach der Schule bin ich von meinem hessischen Heimatdorf für ein Jahr nach Mexiko. Das hat mich weiter politisiert und mir die ungerechten globalen Verhältnisse vor Augen geführt. Für mein Studium bin ich dann nach Chemnitz gegangen, um dort European Studies zu studieren. Das war kurz vor der Osterweiterung der EU und ich fand es super spannend zu sehen, wie Europa zusammenwächst. Ich wollte meinen Teil dazu beitragen und das ganze akademisch begleiten. In Chemnitz habe ich auch angefangen mich bei der Grünen Jugend zu engagieren.

Warum gerade Chemnitz?

Die Hälfte meiner Familie kommt aus Ostdeutschland. Als Kind war ich häufig in der DDR bei Verwandten zu Besuch. Mir war es wichtig zu erleben, wie sich eine Stadt wie Chemnitz nach der Wende entwickelt hat und noch weiter entwickelt. In meiner damaligen WG wohnten bis auf mir nur Menschen aus Chemnitz und Umgebung. Ich habe dort sehr viel über deren Kindheit und Identität mit der DDR erfahren und wie sie ein zusammenwachsendes Deutschland und Europa erleben.

Auch heute setzen sie sich im Europaparlament für die Region Sachsen ein.   

Vor allem das Thema des Braunkohleabbaus und Kohleverstromung im polnischen Turów beschäftigt mich. Der Tagebau Turów liegt direkt an den Grenzen zu Sachsen und Tschechien, mit erheblichen negativen Auswirkungen für die Menschen dort. Aufgrund einer Klage Tschechiens vor dem Europäischen Gerichtshof machte der zuständige Generalanwalt zuletzt deutlich, dass der Weiterbetrieb des Tagebaus nicht rechtens sei. Doch zeitgleich einigten sich Tschechien und Polen außergerichtlich. Das aber löst die Probleme um die Trinkwasserversorgung in Tschechien nicht. Auch die sächsische Stadt Zittau ist durch Bodenabsenkungen bedroht.

Was tun Sie konkret dagegen?

Gemeinsam mit Fraktionskolleginnen und -kollegen aus der ganzen EU schreiben wir mal wieder einen Brief an die EU-Kommission. Wir sind der Auffassung, dass die Kommission endlich das Heft des Handelns in die Hand nehmen und ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten muss. Man sieht es am Beispiel der Justizreform in Polen, ein entsprechendes Verfahren und hohe Strafzahlungen – dagegen waren die Strafzahlungen für den Weiterbetrieb von Turów Peanuts – haben Polen teilweise zum Einlenken bewegt. Zugleich braucht es aber auch den Dialog mit Polen. Wenn ich mit einzelnen Abgeordneten der polnischen Regierungspartei PiS rede, höre ich gar nicht so abweisende Signale. Auch die sagen, wir brauchen einen Ausstiegsfahrplan und Konzepte für die Kohleregionen. Ohnehin werden Erneuerbare Energien immer kompetitiver. Die Kohleverstromung lohnt sich auch in Polen bald schon rein ökonomisch nicht mehr. Aber aufgrund der verheerenden Umweltauswirkungen können wir keinen Tag länger warten. Die Kommission muss jetzt aktiv werden.

Das Interview führte Manuel Först