Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau: Nachhaltige Digitalisierung – Weniger Elektroschrott, bitte

Die Digitalisierung muss nachhaltiger gestaltet werden. Ein Gastbeitrag von Anna Cavazzini und Tabea Rößner zum Weltverbrauchertag.

Frankfurt – Nicht erst am heutigen Weltverbrauchertag stellen wir zwei Megatrends für Verbraucher:innen fest: Zum einen durchdringt die Digitalisierung immer mehr unseren Alltag – vom vernetzten Kühlschrank über unsere Smartphones bis hin zum Arbeitsplatz. Zum anderen beobachten wir den Trend, dass sich Menschen immer öfter Geräte ausleihen oder gemeinsam nutzen. Das Bewusstsein für Reparaturen und Recycling nimmt stetig zu.

Doch leider denken wir diese beiden Megatrends noch nicht ausreichend zusammen. Im Gegenteil: Immer mehr Anwendungen und Datenverarbeitung führen dazu, dass elektronische Geräte auch schneller veralten. Damit die Digitalisierung unser Leben und Wirtschaften nachhaltiger macht, muss sie von Anfang an nachhaltig designed werden. Dafür müssen wir die politischen Weichen jetzt stellen. Wie das gelingen kann, skizzieren wir in drei Punkten.

Digitalisierung nachhaltiger gestalten: Know-how und Sensibilisierung spielen große Rolle

Erstens brauchen wir Know-how und Sensibilisierung bei den Gestalter:innen unserer Zukunft. Viele Produkte arbeiten heute maßgeblich auf Grundlage softwarebasierter Programme. Dazu gehören nicht nur Smartphones und Computer, sondern auch Küchengeräte, Waschmaschinen und das sogenannte Internet of Things. Häufig schafft das schon Anwendungs- und Einsparpotenziale: Sensoren, Mess- und Eingabefunktionen analysieren den Einsatz, stellen den Gebrauch bedarfsorientiert und damit energie- und ressourcenschonend ein.

Damit Software eine nachhaltige Ausrichtung unseres Alltags begünstigt, ist es allerdings essenziell, das Bewusstsein bei den IT-Entwickler:innen fest zu verankern. Das fängt in der Ausbildung entsprechender Kompetenzen an. Ansätze wie das Green Coding müssen wir ausbauen, damit die Rechenvorgänge zukünftig stärker daten-, energie- und ressourcensparsam gestaltet werden. Das lohnt sich auch für Verbraucher:innen, die durch Einsparungen mehr nachhaltige Software nachfragen.

Nachhaltigkeit bei Digitalisierung: Elektroschrott wächst immer weiter

Zweitens müssen wir dringend an das Zusammenspiel von Hard- und Software ran: Der Berg aus Elektroschrott wächst weltweit jährlich um 57 Millionen Tonnen. Unvorstellbar: ein Gewicht von 270 Frachtcontainern. Oft werden Geräte weggeworfen, weil die Softwareleistung nicht mehr zur Hardware passt. Oder andersrum: Müssen neue Updates installiert werden, kommt die Hardware an ihre Grenzen und das Gerät erlahmt. Auch fehlende Updates können die Sicherheit oder Funktionstüchtigkeit des Geräts nicht mehr sicherstellen.

Die Folge: Eigentlich voll funktionstüchtige Geräte landen wegen schlechter Leistung im Müll. Diesen Skandal können wir uns angesichts der Klimakrise und des massiven Ressourcenverbrauchs nicht mehr leisten. Mit einem europäischen Recht auf Reparatur wollen wir die Schieflage aus frühzeitig verschleißender Hardware beheben. Dafür brauchen wir Augenhöhe zwischen Herstellern und Nutzer:innen und zwischen Herstellern und freien Reparateuren. Denn Hersteller haben das Zepter in der Hand, wenn sie ihre Produkte designen.

Wir wollen den Zugang zu Anleitungen und Ersatzteilen, aber auch zu Updates für alle Akteur:innen auf dem Reparaturmarkt. Und Reparaturen zu einem Preis, der es für Verbraucher:innen und Tüftler:innen erschwinglich macht, Produkte zu reparieren. Mit verpflichtenden Vorgaben an die Nachhaltigkeit von Produkten im Rahmen der Ökodesignvorgaben sind wir auf europäischer Ebene auf dem richtigen Pfad. Wir brauchen klare Regeln gegen vorzeitigen Verschleiß von Produkten auf dem europäischen Binnenmarkt. Hier ist ein wesentliches Element, die Kopplung von Soft- an die Hardware zu verbieten. Außerdem gehört die Entscheidung darüber, ob man ein Update einrichten oder zurücksetzen möchte, zurück in die Hände der Verbraucher:innen. Mit dem Zugang zu Reparaturtools und Informationen für Reparaturbetriebe stärken wir das Vertrauen der Verbraucher:innen in reparierte Geräte.

Nachhaltige Digitalisierung: Neue Geschäftsmodelle können helfen

Drittens werden wir nicht umhinkommen, den Kreislaufwirtschaftsgedanken in neue Geschäftsmodelle zu übersetzen. Längst eröffnen Leasing, Sharing oder Refurbishment neue Märkte, die für Hersteller immer attraktiver werden. Hersteller, die auf hohe Absatzzahlen und Abnutzung angewiesen sind, werden über kurz oder lang umdenken müssen. Deshalb brauchen wir einfache Rahmenbedingungen für neue Geschäftsmodelle. Unsere Verbraucherpolitik muss hier Sicherheit und klare Leitplanken schaffen. Dazu gehört jedoch ein freier Reparaturmarkt und fairer Wettbewerb zwischen herstellerseitigen und freien Reparaturen.

Aus dem Dreiklang von Zukunftskompetenz, einem neuen Verständnis vom Zusammenspiel von Gerät und Software in einer vernetzten Welt und neuen Geschäftsmodellen entsteht eine nachhaltige Digitalisierung. Klar ist: Die derzeitige Entwicklung ist gut, braucht aber dringend ein verbraucherfreundliches Update.

Anna Cavazzini ist Abgeordnete der Grünen im Europaparlament und dort Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz.

Tabea Rößner ist Abgeordnete der Grünen im Bundestag und dort Vorsitzende des Digitalausschusses. Beide kämpfen seit Jahren für das Recht auf Reparatur. Daneben machen sich beide für digitale Verbraucherrechte stark.

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