Harte Kritik am Personalpaket des Rats
Ich erhalte gerade viele Zuschriften, die die Enttäuschung über den Personalvorschlag des Rats ausdrücken. Ich teile diese Enttäuschung. Die gestiegene Wahlbeteiligung und das Wahlergebnis waren ein eindeutiges Signal gegen eine Politik des Status Quo. Diese Europawahl war auch ein Signal für ein demokratisches Europa mit einem gestärkten Parlament als Vertretung der Bürger*innen.
Gleichzeitig versprach es politisch spannend zu werden. Denn zum ersten Mal hat die große Koalition im Europaparlament ihre Mehrheit verloren. Dadurch waren Sozialisten und Konservative zu inhaltlichen Verhandlungen bereit. Wir Grüne haben diese Gespräche zwischen den Fraktionen vorangetrieben, um unseren Erfolg bei der Europawahl zu nutzen, Grüne Politik in inhaltlichen Projekten der neuen Kommission zu verankern.
Viele Menschen haben daher mit Spannung auf die parallel stattfindenden Verhandlungen im Rat geschaut, inwiefern das neue Personaltableau die veränderte Situation widerspiegelt. Natürlich haben wir erwartet, dass die Spitzenkandiderenden im Personaltableaeu eine zentrale Rolle spielen, so wie das insbesondere auch von den zwei großen Parteien den Menschen im Wahlkampf versprochen wurde.
Diese Erwartungen wurden durch die Entscheidung des Rates enttäuscht. Der aus dem Hut gezauberte Kompromiss unter sich rangelnden Mitgliedsstaaten wirkt vollkommen beliebig. Frau von der Leyen hat sich den Menschen nicht in den Wahlen der Debatte gestellt, ist aufgrund der Berateraffäre und anderer Probleme zu Hause beschädigt und steht nicht für einen inhaltlichen Aufbruch.
Aus Grüner Sicht ist es jedoch auch bedauerlich, dass es die großen Fraktionen im Parlament in den Wochen seit der Wahl nicht geschafft hatten, sich hinter einem/einer Spitzenkandidat*in mit einem starken inhaltlichen Programm zu versammeln. Das hätte sicherlich die Rolle des Parlaments vis-à-vis dem Rat gestärkt.
Aber: Die Mehrheit für das Personaltableau im Parlament ist dünn, viele Abgeordnete auch anderer Fraktionen üben scharfe Kritik an dem Verfahren, das das Parlament schwächt. Entweder muss es weitreichende Zugeständnisse was die Rechte des Parlaments und Inhalte angeht oder aber Frau von der Leyen läuft Gefahr, im Parlament durchzufallen.
Für die Zukunft bedeutet dies, dass auch die Mehrheit der Großen Koalition plus Liberale bei jeder Gesetzgebung in dieser Legislatur extrem dünn sein wird. Bei regelmäßig vielen Abweichler*innen bei Abstimmungen im Parlament werden die Fraktionen also nicht um uns Grüne herumkommen, wenn es um die Inhalte geht. Das ist kein Trost bei Frust über Hinterzimmerdeals, aber entscheidend für die Ergebnisse europäischer Politik in den nächsten fünf Jahren.