Post-Brexit: Nach den Verhandlungen ist vor den Verhandlungen

Mit der Zustimmung des Europäischen Parlamentes diesen Mittwoch wird das Vereinigte Königreich am Freitag, den 31. Januar, die Europäische Union verlassen. Damit beginnt die vereinbarte Übergangszeit von elf Monaten post-Brexit, um die zukünftigen Handelsbeziehungen zu regeln – eine fast unmögliche Aufgabe, bei der beide Seiten ihre gemeinsamen Interessen im Blick behalten müssen, um ein für Jahrzehnte prägendes, zukunftsweisendes Abkommen auf die Beine zu stellen.

Die kurze Frist für die Verhandlungen wird kaum zu halten sein. Denn zu diesen zukünftigen Beziehungen gehört erstens ein umfassendes Handelsabkommen, das alle Sektoren der Wirtschaft umfassen muss – von der Landwirtschaft über Finanzdienstleistungen und öffentliche Beschaffung, bis hin zum Austausch von Daten und dem Schutz geistigen Eigentums. Bei einer solchen Breite an Themen werden in anderen Handelsabkommen Jahre Verhandlungszeit angesetzt.

Zweitens ist dieses Abkommen in seiner Art vollkommen neuartig: Während normalerweise Abkommen eine engere wirtschaftliche Kooperation regeln, soll in diesem Fall beiden Seiten weniger Zugang zum jeweils anderen Markt gewährt werden. Gibt es derzeit keine Zollkontrollen und eine gegenseitige Anerkennung von Produktvorgaben und deren Prüfung, müssen genau diese Fragen nun neu geregelt werden.

Drittens sind die Verhandlungspositionen beider Seiten schwierig. Zentral ist hier die Frage fairer Wettbewerbsbedingungen, des sogenannten Level Playing Fields. Möchte das Vereinigte Königreich weiterhin vollen Zugang zum EU-Binnenmarkt, müssen sich beispielsweise die Umweltgesetzgebungen oder die Finanzmarktaufsichten beider Seiten weiterhin entsprechen. Um einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen, könnte das Vereinigte Königreich Standards jedoch absenken – insbesondere, wenn es sich in geschwächter Position im Welthandel genötigt sieht, offensiven Forderungen der USA zum Beispiel im Lebensmittelbereich nachzukommen. Was einerseits eine engere Kooperation und einen Deal mit den USA ermöglicht, beschränkt andererseits wiederum den Zugang zum europäischen Markt.

In dieser Lage droht das Vereinigte Königreich weiter mit einem No-Deal-Szenario. Um diese Drohung zu untermauern hat Johnson eine neue Klausel in das britische Gesetz über den EU-Austritt eingefügt, das trotz eines eher unwahrscheinlichen Abschlusses der Verhandlungen innerhalb der elf Monate eine Verlängerung der Frist über 2020 hinaus ausschließt. Die Aussicht auf den Rückfall auf WTO-Regeln dieses faktischen No-Deals wiederum hat nicht zuletzt die europäische Autolobby auf den Plan gerufen, die im Zweifel europäische Entscheidungsträger*innen zu Eingeständnissen bewegen will.

Diese Ausgangslage ist komplex. War das Austrittsabkommen der Scheidungsvertrag, folgt nun der Kampf um das Sorgerecht: Um die Regeln, die für die Märkte gelten sollen. Hier kommt man mit Erpressung nicht weiter. Statt um gemeinsam erreichte, hohe Umwelt- und Sozialstandards zu feilschen, sollte die Chance der besonders engen Beziehungen und der gemeinsamen Geschichte des Vereinigten Königreichs mit der EU genutzt werden, um ein Handelsabkommen zu schließen, das die Klimakrise adressiert und ein Modell für die Zukunft sein kann.