Briefing: Das europäische Recht auf Reparatur

Produzieren, verbrauchen und ab in den Müll – die Wirtschaftsweise unserer Wegwerfgesellschaft führt zur Ausbeutung von Ressourcen jenseits der Grenzen unseres Planeten. Wenn wir nichts daran ändern, bräuchten wir bis 2050 drei Erden, um unseren Rohstoffhunger zu stillen. Diese lineare Wirtschaft heizt die Klimakrise an, führt zu Umweltzerstörungen und Menschenrechtsverbrechen im Rohstoffabbau, macht unsere Lieferketten krisenanfällig und unsere Wirtschaft und Unternehmen abhängig von Rohstoff-Importen. Gleichzeitig ist Elektroschrott der am schnellsten wachsende Müllberg der Welt. Klar ist: Unsere Wirtschaftsweise muss sich ändern, hin zu einer Kreislaufwirtschaft. Das Recht auf Reparatur ist eine Initiative im Übergang zur Kreislaufwirtschaft, über die wir in diesem Briefing ausführlich sprechen möchten.

Hier als PDF herunterladen!

Europäische Initiativen für den Übergang zur Kreislaufwirtschaft

Im Rahmen des EU Green Deal hat die Europäische Kommission daher im März 2020 ihren Aktionsplan Kreislaufwirtschaft[1] vorgestellt, um das Ziel der Klimaneutralität 2050 mit dem Binnenmarkt als Hebel zu erreichen. Wirtschaften im Kreislauf bedeutet, Materialien und Rohstoffe in geschlossenen Stoffströmen zu halten: Produkte nachhaltig designen, produzieren, länger nutzen, wiederverwerten, reparieren und schließlich recyceln. Neben den Vorschlägen für eine nachhaltige Produktpolitik, eine grüne Verbraucherpolitik und sektorale Gesetzesinitiativen wie die Textilstrategie ist das Recht auf Reparatur Kern dieses Aktionsplans.

Das Europäische Parlament hat im Februar 2021 in einer Entschließung[2] diese Vorschläge unter anderem mit verbindlichen Reduktionszielen zum Materialverbrauch konkretisiert. Denn klare Vorgaben für Produkte, die länger leben, reparierbar sind und am Ende ihres Lebens wieder zu Rohstoffen werden, schonen Klima, Ressourcen und den Geldbeutel der Verbraucher*innen. Doch leider sind wir weit davon entfernt, dass reparieren auf dem Binnenmarkt zur Norm wird.

Reparieren als Sonderfall – Zahlen und Fakten zur Reparatur:

  • 77 Prozent der Verbraucher*innen in der EU würden ihre kaputte Ware lieber reparieren als neu kaufen.
  • Doch nur 22 Prozent der kaputten Ware wird tatsächlich repariert. Grund sind mangelnde Reparierbarkeit oder mangelnder Reparaturservice, der oft nur über Vertragswerkstätten möglich ist. Etwa ein Drittel der Verbraucher (genau: 32%) entscheidet sich aufgrund zu hoher Reparaturkosten gegen eine Reparatur.
  • Die durchschnittliche Nutzungsdauer eines Handys beträgt in Deutschland derzeit durchschnittlich 3,3 Jahre. Oft führen ein nicht austauschbarer Akku, ein fehlerhafter Bildschirm oder ein fehlendes Software-Update dazu, dass Smartphones in Technikschubladen verstauben. Oft sehen auch Mobilfunkverträge auch den Austausch des Smartphones nach zwei Jahren vor.
  • Nur jede*r siebte lässt das Smartphone im Schadensfall reparieren. Bei Smartphones ist die die allgemeine Reparaturrate geringer als bei anderen Elektrogeräten: Hier entscheidet sich über die Hälfte (genau: 52%) bei Defekt zum Kauf eines neuen Gerätes. Davon geben 80 % zu hohe Kosten als Grund gegen die Reparatur an.
  • Eine Verlängerung der Nutzungsdauer von Smartphones von aktuell durchschnittlich 2,5 Jahren auf 7 Jahre würde pro Gerät knapp 100 Kilogramm (genau: 98) Treibhausgas einsparen. Bei Notebooks ist das Einsparungspotenzial noch größer: Bei einer Lebensdauer von 10 statt 5 Jahren können knapp 200 (genau: 197) Kilogramm eingespart werden. Auf ganz Deutschland hochgerechnet beläuft sich das Einsparungspotenzial von Treibhausgasen pro Jahr auf 0,9 Millionen Tonnen bei Smartphones und 0,86 Millionen Tonnen bei Notebooks.
  • Doch der Anteil kaputter Geräte, die Konsument*innen in Deutschland ersetzen, ist von 3,5 Prozent in 2004 auf 8,3 Prozent in 2012 gestiegen. In Deutschland entstehen so jährlich über 400.000 (genau: 436.548) Tonnen Elektroschrott durch defekte Elektrogeräte.

Mit dem Recht auf Reparatur Klimaschutz und Verbraucherinteressen in Einklang bringen

Im März 2022 hat der federführende Binnenmarktausschuss in einem Entschließungsantrag die Forderungen des Europäischen Parlaments zum Recht auf Reparatur genau umschrieben.[3] Hierbei stand nicht nur die Verfügbarkeit von Ersatzteilen und Anleitungen, sondern auch der Preis der Reparatur, Fragen der Gewährleistung und der Garantie im Zentrum der Verhandlungen. Denn nur eine verbraucherfreundliche Ausgestaltung wird am Ende auch zu mehr Reparatur führen. Das Recht auf Reparatur muss das Paradebeispiel dafür werden, wie hohe Verbraucherschutzstandards und Klimaschutz Hand in Hand gehen. Die Kernforderungen des Europaparlamentes:

  • Reparaturen sollen für Verbraucher*innen attraktiver gemacht werden, zum Beispiel durch Prämien für die Reparatur eines defekten Gerätes oder den Erhalt eines Ersatzgerätes für die Dauer der Reparatur.
  • Ersatzteile und Anleitungen sollen für einen Mindestzeitraum verfügbar sein.
  • Geräte sollen mit abnehmbaren und austauschbaren Teilen so designt sein, dass sie haltbarer sind, länger leben und reparierbar bleiben. Diese Forderung wird in Teilen bereits durch die Ausweitung der Ökodesign-Regeln abgedeckt, die die Europäische Kommission im März 2022 vorgestellt hat.[4]
  • Hersteller sollen stärker in die Pflicht genommen werden: Sie sollen kostenlosen Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen gewähren und Software-Updates für einen bestimmtem Mindestzeitraum garantieren. Auch sollen sie durch eine gemeinsame Haftung zusammen mit den Verkäufern für fehlerhafte Produkte mit aufkommen.
  • Verbraucher*innen sollen mehr Informationen über die Reparierbarkeit eines Produktes erhalten, zum Beispiel in Form eines RepairScores: Zur geschätzten Lebensdauer, zu Ersatzteilen, zu Reparaturdiensten und der Dauer der Verfügbarkeit von Software-Updates.
  • Die Gewährleistung soll verlängert werden.

Grüne Forderungen für das europäische Recht auf Reparatur

Für den 30. November 2022 hat die Europäische Kommission eine Gesetzesinitiative zum Recht auf Reparatur angekündigt. Unsere Grünen Forderungen, die über den Beschluss des Europaparlaments hinausgehen:

  • Zugang zu Ersatzteilen, Anleitungen, Updates, Wartungs- und Diagnoseinstrumenten mit einer Mindestverfügbarkeit und festgelegten Lieferzeit für alle Akteur*innen des Reparatursektors, also auch unabhängige Werkstätten und Tüftler*innen.
  • Außerdem sollen die Preise für Ersatzteile im Verhältnis zum Neukaufpreis
  • Eine erweiterte Herstellerverantwortung nimmt die Hersteller in die Pflicht für fehlerhafte Produkte und reizt so nachhaltiges Design und Produktion an.
  • Eine eindeutige Reparaturbewertung in Form eines Reparaturindexes angepasst an die jeweilige Produktkategorie soll zum Zeitpunkt des Kaufs Verbraucher*innen einfach zu lesende Informationen geben und die nachhaltige Wahl ermöglichen. Zu den Kriterien sollen unter anderem Haltbarkeit und Reparierbarkeit, geschätzte Lebensdauer oder Verfügbarkeit von Ersatzteilen gehören. Nur wenn keine Reparaturbewertung verfügbar ist, sollen Mindestinformationsanforderungen zum Zeitpunkt des Kaufs über die einzelnen Kriterien Auskunft geben.
  • Eine längere gesetzliche Gewährleistung soll auf die erwartete Lebensdauer eines Produkts abgestimmt werden und die Beweislast im Gewährleistungsfall nicht länger bei den Verbraucher*innen liegen. Verbraucher*innen brauchen außerdem klare Informationen über ihre Rechte im Gewährleistungsfall.
  • Des Weiteren kann Reparatur durch die Aufhebung der Gewährleistungszeit, beziehungsweise die Verlängerung der Gewährleistung im Falle einer Reparatur angereizt werden. Auch im Gewährleistungsfall sollen Verbraucher*innen ihre Werkstätten frei wählen können. Die Dauer der Reparatur soll in angemessenen Fristen erfolgen.
  • Eine klare Hierarchie der Rechtsbehelfe im Gewährleistungsfall soll Reparatur dem Ersatz vorziehen. Auch braucht es klare Mindestanforderungen für die Gewährleistung der Qualität von Second Hand und refurbished Produkten und Gütesiegel für Reparaturen.
  • Nach Ablauf der gesetzlichen Gewährleistung kann eine darüberhinausgehende Garantie weitere Anreize für Reparatur setzen. Auch sollen weitere finanzielle Anreize wie eine Mehrwertsteuersenkung oder Reparaturboni auf Ebene der Mitgliedstaaten angeregt werden.

[1]Aktionsplan Kreislaufwirtschaft der Europäischen Kommission, März 2020: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1583933814386&uri=COM%3A2020%3A98%3AFIN

[2] Bericht des Europäischen Parlaments zum Aktionsplan Kreislaufwirtschaft, Februar 2021: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0008_DE.html

[3] Entschließungsantrag zum Recht auf Reparatur des Binnenmarktausschusses des Europäischen Parlaments, März 2022: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/B-9-2022-0175_EN.html

[4] Ecodesign for Sustainable Products Regulation, Kommissionsvorschlag März 2022: https://www.europarl.europa.eu/RegData/docs_autres_institutions/commission_europeenne/com/2022/0142/COM_COM(2022)0142_EN.pdf