Neue Studie: 50 Milliarden Euro – Europas Fußabdruck der Kinderarbeit

Studie: 50 Milliarden Euro – Europas Fußabdruck der Kinderarbeit

Die EU importiert jährlich Produkte im Wert von rund 50 Milliarden Euro, die in Verbindung mit Kinderarbeit stehen. Umgerechnet bedeutet das: Etwa 100 Euro gibt jede*r Europäer*in pro Jahr für Produkte aus Kinderarbeit aus. Diese Zahl findet man zum ersten Mal in einer in Deutschland bislang unveröffentlichten Studie zum Thema europäische Handelspolitik und Kinderarbeit der Grünen/EFA Fraktion im Europaparlament. Diese hat meine Kollegin Saskia Bricmont federführend betreut.

Die vollständige Studie herunterladen (English)


Einblicke in die Studie:

Mithilfe eines neu entwickelten Online-Tools kann man die genauen Zahlen pro Land einsehen.

  • Ein Beispiel: 2020 wurde festgestellt, dass Kakao in sieben Partnerländern der EU durch Kinderarbeit hergestellt wurde – in Brasilien, Kamerun, Ghana, Guinea, der Elfenbeinküste, Nigeria und Sierra Leone. Ghana und die Elfenbeinküste waren dabei 2019 die größten Kakaohandelspartner der EU (im Wert von über 1 Mrd. Euro bzw. 3 Mrd. Euro). Schätzungen zufolge werden in Subsahara-Afrika 12% und in Lateinamerika 22% der exportierten Waren und Dienstleistungen unter Kinderarbeit hergestellt (Alsamawi et al, 2019). Daraus lässt sich schlussfolgern: Der Gesamtwert von Kakao, der in die EU importiert wurde und aus Kinderarbeit stammt, betrug 2019 etwa 648 Mio. Euro. Mehr als die Hälfte dieses Imports – ca. 373 Mio. Euro – entstand allein in der Elfenbeinküste unter Kinderarbeit.
  • Ein weiteres Beispiel: 2020 wurden 17 Länder identifiziert, in denen Tabak mithilfe von Kinderarbeit produziert wurden. Malawi und Brasilien waren 2019 die größten Tabak-Exporteure in die EU (im Wert von 234 Mio. Euro bzw. 543 Mio. Euro). Der Anteil von Wertschöpfung durch Kinderarbeit an den Exporten aus Malawi betrug 12% und aus Brasilien 22%. Dementsprechend stammten Tabak-Importe im Wert von knapp 28 Mio. Euro aus Malawi und 120 Mio. Euro aus Brasilien aus Kinderarbeit. Insgesamt stammten schätzungsweise Tabak-Importe in die EU mit einem Wert von 246 Mio. Euro aus Kinderarbeit.

 

  • Die Zahlen sind krass, spiegeln aber nur einen Bruchteil der Realität wider: Die Dunkelziffer ist weitaus größer, da die meisten Kinder in landwirtschaftlichen Familienbetrieben arbeiten, die Waren herstellen, die erst gar nicht in die globalen Lieferketten gelangen.

 

  • Die wichtigsten Import-Produkte, die unter Kinderarbeit hergestellt und in der Studie analysiert wurden, sind Elektronik (35 Mrd. EUR), Bekleidung (5,4 Mrd. EUR), Schuhe (1,5 Mrd. EUR), Kaffee (1,1 Mrd. EUR) und Spielzeug (1,1 Mrd. EUR).

 

  • Fast 1 von 5 analysierten Importprodukten aus Ost- und Südostasien in die EU wurden unter Kinderarbeit hergestellt (19 %)

 

  • Die Importe stammen hauptsächlich aus Ländern, mit denen die EU über Handels- oder Investitionsabkommen verhandelt oder demnächst verhandeln möchte: China, Brasilien, Indien und Indonesien.

 

  • Die Studie zeigt den Widerspruch in der EU-Handelspolitik: Auf der einen Seite gibt es internationale Verpflichtungen zur Abschaffung von Kinderarbeit, auf der anderen Seite erleben wir eine mangelhafte Umsetzung von konkreten Maßnahmen diesbezüglich in bestehenden Handelsabkommen. Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission hat sich zu „Null-Toleranz“ gegenüber Kinderarbeit verpflichtet – passiert ist bisher wenig.

 

  • Die Studie untersucht außerdem, wie die EU durch Nutzung ihrer beträchtlichen Gesamtkaufkraft Kinderarbeit weltweit wirksam reduzieren kann. Grundlage ist ein 4-Zonen-Ansatz, der abhängig von sozioökonomischen Entwicklungen (BIP/Kopf) der Handelspartner variiert.
    • Das System funktioniert auf der Grundlage von Anreizen und Negativanreizen, von Entwicklungshilfe bis hin zu bevorzugtem Marktzugang, Maßnahmen im öffentlichen Beschaffungswesen, der Erstellung von EU-Listen von Produkten, die mit Kinderarbeit hergestellt wurden, Ausgleichsmaßnahmen in Freihandelsabkommen und in einigen spezifischen Kontexten Importverboten im Falle von Kinderzwangsarbeit.

 

  • Die Studie zeigt auch, wie wichtig menschenwürdige Arbeitsbedingungen für Frauen sind, um zu vermeiden, dass Kinder arbeiten gehen müssen. Erhöht man die Löhne von Frauen um 10%, verringert sich die Notwendigkeit Mädchen in Fabriken, Minen oder auf Felder zu schicken um ebenfalls 10%. Besonders betroffen sind in diesem Fall die Textil-, Leder- und Schuhindustrie und die Landwirtschaft, wo Mädchen und Frauen einen großen Teil der Arbeitskräfte ausmachen.

 

Bild: Mongolian child labour. © ILO. This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 IGO License. To view a copy of this license, visit creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/igo/deed.en_US.