Pressestatement: Schiedsverfahren Nord Stream 2 vs. EU auf Grundlage des Energiecharta-Vertrags

43 Europaabgeordnete aus fünf unterschiedlichen Fraktionen haben eine schriftliche Anfrage an die Europäische Kommission geschickt: Die Anfrage bezieht sich auf die Investitionsschiedsklage von Nord Stream 2 gegen die EU, welche auf dem Energiecharta-Vertrag basiert.

Anna Cavazzini, Vorsitzende der INTA-Beobachtungsgruppe für Investitionspolitik, kommentiert:

„Dieses Investitionsschiedsverfahren ist Teil des gigantischen Machtkampfes um Nord Stream 2. Es wird vom Unternehmen selbst und von dessen wichtigstem Geldgeber – der russischen Regierung – als Instrument genutzt, um Druck auf die EU und die EU-Mitgliedsstaaten auszuüben.“

„Im Gegensatz zu Verfahren, die vor öffentlichen Gerichten verhandelt werden, entscheiden bei solchen Investitionsschiedsverfahren kurzfristig eingesetzte Schiedsrichter*innen über den Ausgang. Das ist die grundlegende Funktionsweise des Energiecharta-Vertrags. Problematisch: Hier geht es um Milliarden Euro an öffentlichen Geldern“.

„So könnten am Ende Steuerzahler*innen für den Bau von Nord Stream 2 blechen. Der Bau an sich war schon ein gigantischer Fehler. Die Sache sollte nicht auf dem Rücken von Bürger*innen ausgetragen werden. Hier zeigt sich wieder einmal: Der Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag ist dringend notwendig.“

Eingereichte schriftliche Anfrage:

„Am 26. September 2019 hat die Nord Stream 2 AG ein Schiedsverfahren gegen die Europäische Union gemäß Artikel 26 Absatz 4(b) des Energiecharta-Vertrags eingeleitet. Der Kläger wendet sich gegen die Anwendung der EU-Gasrichtlinie, die im April 2019 vom EU-Parlament mit überwältigender Mehrheit verabschiedet wurde.

Auf der Website des Ständigen Schiedshofs sind zwar einige Dokumente zu dem Fall veröffentlicht, aber relevante Informationen sind geschwärzt. Dazu gehört auch die Höhe des geforderten Schadensersatzes. Nord Stream 2 spricht von einem möglichen Schaden von über 8,0 Milliarden Euro.

Fordert das Konsortium im laufenden Verfahren zur Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten (ISDS) im Rahmen des Energiecharta-Vertrags den gesamten Betrag von 8,0 Milliarden Euro an europäischen öffentlichen Geldern? Wenn nicht, wie viel wird gefordert?

Wie beurteilt die Kommission die Zuständigkeit und die Begründetheit in diesem Fall?“

Zum Kontext:

  • Das Verfahren basiert auf dem Energiecharta-Vertrag und hat zum Gegenstand, ob Nord Stream 2 von der EU-Gasrichtlinie ausgenommen werden sollte.
  • Die EU-Vorschriften schreiben eine „Entflechtung“ von Unternehmen für Produktion, Transport und Verteilung von Gas vor, sobald eine Pipeline deutsches Gebiet erreicht. Sollte das Konsortium in diesem Fall das Verfahren verlieren, wäre es gezwungen Kapazitäten an Dritte zu versteigern.
  • Sollte diese „Entflechtung“ also durchgesetzt werden, wäre die geopolitische Macht, die Russland durch die Pipeline erhält, stark eingeschränkt.
  • Die EU-Kommission verteidigt die Interessen der EU diesem Fall bereits seit zwei Jahren. Leider sind die wichtigsten Informationen in den Dokumenten über das Verfahren geschwärzt.
  • In einigen lesbaren Teilen der Dokumente fordert Nord Stream 2 eindeutig eine Ausnahme von der Erdgasrichtlinie. Im Gegenzug bietet das Unternehmen eine Beilegung des Investitionsstreites.
  • Der Energiecharta-Vertrag (ECT) ist ein internationales Abkommen, das Mitte der 90er Jahre abgeschlossen wurde. Der Vertrag gesteht Energieunternehmen große Befugnisse ein, z.B. Staaten vor privaten Schiedsgerichten über Milliarden von Dollar bzw. Euro zu verklagen. Kein anderes internationales Handels- oder Investitionsabkommen der Welt hat mehr Investorenklagen ausgelöst als der Energiecharta-Vertrag.
  • Ein paralleles Verfahren läuft vor deutschen Gerichten. Sein Ausgang wird jedoch keine Auswirkungen auf das Schiedsverfahren haben.

Presseanfragen richten Sie bitte an: anna.cavazzini@europarl.europa.eu

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