Pressemitteilung: EU-Lieferkettengesetz – Hintergrund zur morgigen Abstimmung im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments

Brüssel, den 24.04.2023

Morgen wird der federführende Rechtsausschuss im Europaparlament seinen Bericht zum Europäischen Lieferkettengesetz abstimmen. Bereits acht weitere Ausschüsse hatten ihre Stellungnahmen im Vorhinein abgegeben – unter anderem der Handelsausschuss Ende Januar. Im Rechtsausschuss kann die Berichterstatterin, die Sozialdemokratin Lara Wolters, auf einen breiten Kompromiss von der EVP bis zur Linken bauen. Dadurch werden keine Überraschungen für morgen erwartet.

Anna Cavazzini, Grüne Schattenberichterstatterin im Handelsausschuss zum EU-Lieferkettengesetz, kommentiert die morgige Abstimmung:

 

„Eine breite Mehrheit der Fraktionen im Rechtsausschuss einigen sich auf eine Verschärfung des EU-Lieferkettengesetzes, was die Richtung für die Abstimmung im Plenum Ende Mai vorgibt. Dies ist ein Erfolg für die Menschenrechte und das Klima. Trotz erheblicher Lobbyarbeit ist es uns gelungen, den Geltungsbereich des Gesetzes auf Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden auszuweiten. Dennoch ist es enttäuschend, dass sich Konservative und Liberale durchgesetzt haben und nicht mehr Unternehmen in Risikosektoren die Sorgfaltspflichten in ihren Wertschöpfungsketten erfüllen müssen. 

Erfreulich ist wiederum, dass sich der Geltungsbereich des Gesetzes auf die gesamte Wertschöpfungskette erstrecken soll und nicht nur auf direkte Geschäftsbeziehungen, wie von der Kommission vorgeschlagen. Auch die Sorgfaltspflichten für Umwelt und Klima werden gestärkt. 

Dieses Gesetz hat damit das Potenzial, die globalen Lieferketten nachhaltiger und resilienter zu gestalten.“

 

Hintergrund: In Deutschland gilt das Lieferkettengesetz seit Anfang dieses Jahres. Das EU-Lieferkettengesetz wird die Wirkung verstärken und gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen auf dem EU-Binnenmarkt schaffen. Die Kommission hatte am 23. Februar 2022 ihren lang erwarteten Vorschlag über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit vorgelegt. Darin werden verbindliche Vorschriften vorgeschlagen, die Unternehmen dazu verpflichten, Risiken für Menschenrechte, Gesundheit und Umwelt, die sich aus den Tätigkeiten in ihrer gesamten Wertschöpfungskette ergeben, zu ermitteln und zu beseitigen.

Obwohl der Kommissionsvorschlag mehrere positive Elemente enthält, die sich weitgehend an den OECD-Rahmen anlehnen, hatten wir Grünen/EFA unter anderem folgende Kritikpunkte:

  • Beschränkung des Anwendungsbereichs auf besonders große Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und sehr hohem Umsatz
  • Nur drei Hochrisikosektoren enthalten
  • Bevorzugte Behandlung des Finanzsektors
  • Negative Auswirkungen  mit Blick auf die Good Governance werden nicht berücksichtigt
  • Nur eine Begrenzte Anzahl von negativen Auswirkungen, die durch die internationalen Abkommen im Anhang aufgelistet werden
  • Keine explizite Sorgfaltspflicht in Bezug auf Klimarisiken
  • Eine Verpflichtungen zur Einbindung von Stakeholdern war fast nicht vorhanden
  • Die zivilrechtlichen Verpflichtungen blieben sehr allgemein und es gab nur wenige Vorkehrungen, die den Zugang zum Rechtsweg für betroffene Menschen vereinfacht hätten.

 

Ergebnisse der Verhandlungen im Rechtsausschuss

Die Kompromisse, die morgen im Rechtsausschuss bestätigt werden sollen, stellen eine echte Verbesserung des Kommissionsvorschlags dar und sorgen für eine wesentlich stärkere Angleichung an die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Es wird erwartet, dass alle Kompromisse angenommen werden, da die Mehrheit dieser auch von einem Großteil der EVP-Fraktion unterstützt wird.

Der weitere Prozess ist nun wie folgt: der Bericht des Rechtsausschusses muss dann während der Mini-Plenartagung vom 31.05.-01.06. vom Plenum angenommen werden. Danach werden ab voraussichtlich Juli der Rat und das Europaparlament, zusammen mit der EU-Kommission, im sogenannten Trilogverfahren die finale Version der Richtlinie verhandeln. Der Rat hatte seine Position bereits im Dezember letzten Jahres bestimmt.

Grüne Bewertung der Kompromissvorschläge:

  1. Geltungsbereich: 
  • Grundsätzliche Ausweitung des Geltungsbereichs auf:
    • ALLE Großunternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten und 40 Millionen Jahresumsatz innerhalb der EU.
    • Sowie für Unternehmen, die den allgemeinen Schwellenwert nicht erreichen, aber die Teil einer Muttergesellschaft eines Konzerns mit mindestens 500 Beschäftigten und 150 Millionen Jahresumsatz sind.
    • Allerdings wurde, wie in Deutschland, eine verzögerte Anwendung für Unternehmen mit weniger Mitarbeitenden und Umsatz bestimmt. So gilt muss die Richtlinie durch Unternehmen nach dem Inkrafttreten erst nach folgender Zeit angewandt werden:
      • 3 Jahre für Unternehmen mit mindestens 1000 Beschäftigten und 150 Millionen Jahresumsatz
      • 4 Jahre für Unternehmen und Konzerne mit mindestens 500 Beschäftigten und 150 Millionen Jahresumsatz
      • 4 Jahre + 1 Jahr Opt-out für Unternehmen und Konzerne mit mindestens 250 Beschäftigten und 40 Millionen Jahresumsatz
  • Kleine und mittlere Unternehmen sind von der obligatorischen Anwendung ausgenommen, sollten aber zumindest in der Lage sein, die Richtlinie freiwillig anzuwenden, und zu diesem Zweck sind unterstützende Maßnahmen zu ergreifen.
  • Zweigniederlassungen werden als Teil eines Unternehmens betrachtet und müssen daher bei der Berechnung der Schwellenwerte berücksichtigt werden – so wird vermieden, dass sie als Tochtergesellschaften betrachtet und daher nicht gezählt werden.
  • Nach der Senkung des allgemeinen Schwellenwerts fallen keine spezifischen. Risikosektoren in den Anwendungsbereich der Unternehmen. Stattdessen muss die Kommission spezifische Leitlinien für diese Sektoren entwickeln, insbesondere für den Textilsektor,  den Bergbau und die Gewinnung von Rohstoffen, den Agrarsektor, den Energiesektor (vom Parlament hinzugefügt), den Bausektor (vom Parlament hinzugefügt)  und den Finanzsektor (vom Parlament hinzugefügt).
  • Nicht alle Finanzunternehmen fallen in den Anwendungsbereich, und es gibt immer noch eine gewisse Vorzugsbehandlung für den Sektor, aber diese geht nicht mehr so weit wie im Vorschlag der Kommission, wo die Verpflichtungen auf den ersten Teil der Wertschöpfungskette beschränkt waren.

 

  1. Definition der Risiken und negativen Auswirkungen: 
  • Die Definition der negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte soll laut Kompromissvorschlag sowohl im Gesetzesentwurf als auch im dazugehörigen Anhang verbessert werden, wie beispielsweise die Istanbul-Konvention, aber auch die Bedeutung eines existenzsichernden Einkommens bzw. von existenzsichernden Löhne und eines angemessenen Lebensstandards.
  • Auch die Definition der negativen Umweltauswirkungen soll laut Kompromissvorschlag verbessert werden, um so die Lücken in der Architektur der multilateralen Umweltabkommen zu schließen. Auch wurden weitere internationale Abkommen, insbesondere das Pariser Abkommen und das Århus-Übereinkommen in den entsprechenden Annex aufgenommen.
  • Die negative Auswirkungen mit Hinblick auf Good Governance wurden zwar auf Grund des Widerstands der Konservativen und Liberalen nicht, wie vom Europaparlament ursprünglich gefordert, separat ausgeführt, aber in den Kompromiss wurden Instrumente zur Korruptions- und Bestechungsbekämpfung im Anhang aufgenommen.

 

  1. Die Definition der Wertschöpfungskette: Obwohl im Kompromiss die Betrachtung der Wertschöpfungskette gewahrt werden konnte, konnten sich Konservative und Liberale durchsetzen und die Nutzung durch die Verbraucher*innen ausschließen. Das ist aus unserer Sicht ein guter Kompromiss.

 

  1. Binnenmarkt-Klausel: Hier sieht der Kompromisse eine neue Klausel vor, die eine Absichtserklärung für die Kommission und die Mitgliedstaaten darstellt, sich zu koordinieren, um auf eine Harmonisierung/Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten hinzuarbeiten und eine Fragmentierung des Binnenmarktes zu vermeiden – und damit gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Aus unserer Sicht ist dies eine gute Lösung. Eine Vollharmonisierung, wie von den Konservativen gewollt, hätte höhere Standards in einzelnen Mitgliedstaaten verhindert – mit diesem Ansatz ist trotzdem sichergestellt, dass Unternehmen nicht in jedem Land andere Anforderungen zu erfüllen haben.

 

  1. Erhöhte Sorgfaltspflicht: In bewaffneten Konflikten oder fragilen Situationen nach einem Konflikt, in besetzten und/oder annektierten Gebieten sowie in Gebieten mit schwacher oder nicht vorhandener Staatlichkeit, wie in sogenannten “failed States” sollen laut Kompromiss die Unternehmen eine zusätzliche Konfliktanalyse integrieren. Diesen Punkt hatten die Grünen mit in die Verhandlung gebracht.

 

  1. Geeignete Maßnahmen
  • Unternehmen müssen Maßnahmen ergreifen, die geeignet sind, die Sorgfaltspflichten zu erfüllen und nachteilige Auswirkungen wirksam zu beheben.
  • Die Liste der geeigneten Maßnahmen in Artikel 7 und 8 wurde von einer geschlossenen in eine offene Liste umgewandelt, um Unternehmen nicht in ihren Bemühungen, die Situation zu verbessern, einzuschränken.
  • Es besteht die Verpflichtung zur Beseitigung negativer Auswirkungen auf die Umwelt oder Menschenrechte, die ein Unternehmen bereits verursacht hat, zu denen es beigetragen hat oder mit denen es in Verbindung steht.
  • Außerdem sieht der Kompromiss neu vor, dass Unternehmen ihre Geschäftsmodelle und -strategien, einschließlich der Einkaufspraktiken, anpassen müssen.
  • Auch neu hinzugefügt wurde, dass Unternehmen ihre Geschäftspartner und Lieferanten bei der Beseitigung der negativen Auswirkungen unterstützen sollen.
  • Vertragliche Bestimmungen mit Geschäftspartnern über die Sorgfaltspflicht müssen angemessen, nicht diskriminierend und fair sein und dürfen die Verantwortung und Haftung nicht übertragen. Die Kommission soll hier Mustervertragsklauseln entwickeln.

 

  1. Priorisierung: Falls erforderlich, können die Unternehmen bei der Bewältigung verschiedener potenzieller und tatsächlicher negativer Auswirkungen Prioritäten setzen, indem sie eine Priorisierungsstrategie entwickeln, die letztendlich zur Bewältigung aller negativen Auswirkungen führen sollte. Dies muss im Einklang mit dem risikobasierten Ansatz der OECD und auf der Grundlage objektiver Kriterien geschehen. Diese Festlegung von Prioritäten ist allerdings lediglich ein Instrument zur Unterstützung des Due-Diligence-Prozesses und entbindet ein Unternehmen daher nicht von seinen Verpflichtungen oder seiner zivilrechtlichen Haftung.

 

  1. Einbeziehung von Interessengruppen: Das EU-Parlament könnte laut Kompromissvorschlag einen völlig neuen Artikel über sinnvolles Engagement mit Stakeholdern hinzufügen. Hierdurch soll die Bereitstellung von Informationen für die betroffenen Akteure, deren Konsultation und Inklusion von Unternehmen in den ganzen Prozess verbessert werden. Auch sollen betroffene Stakeholder vor möglichen Vergeltungsmaßnahmen, u. a. durch Maßnahmen zur Wahrung der Vertraulichkeit und Anonymität, geschützt werden.

 

  1. Industrie- oder Multi-Stakeholder-Initiative: Diese können als Hilfsmittel zur Unterstützung der Sorgfaltspflicht des Unternehmens verwendet werden, sind aber kein Ersatz für die eigene Sorgfaltspflicht-Prüfung und entbinden nicht von der zivilrechtlichen Haftung.

 

  1. Überprüfung durch Dritte / Wirtschaftsprüfer: Hier sollen Mindeststandards für Prüfer/Drittparteien, durch einen delegierten Rechtsakt, geschaffen werden. Aber es steht grundsätzlich fest, dass die Inanspruchnahme von Wirtschaftsprüfern das Unternehmen nicht von seiner zivilrechtlichen Haftung entbindet.

 

  1. Zivilrechtliche Haftung und Zugang zum Recht
  • Unternehmen sollen für die Verursachung oder Mitwirkung an negativen Auswirkungen haftbar gemacht werden.
  • Laut Kompromissvorschlag wurde hier der Zugang zum Recht für die Betroffenen solcher negativen Auswirkungen durch folgende Maßnahmen verbessert:
    • Verjährungsfristen: mindestens 10 Jahre + Angaben darüber, wann mit der Zählung begonnen wird
    • Eine Begrenzung der Verfahrenskosten
    • Einem möglichen Zugang zu Beweismitteln im Besitz des Unternehmens, wenn von den Gerichten angeordnet
    • Eine mögliche Vertretung von betroffenen Opfer durch beauftragte Organisationen, Gewerkschaften, Ombudsleute usw.
  • Keine Beschränkung der Haftung von Unternehmen im Rahmen der EU- oder nationalen Gesetzgebung, einschließlich der Vorschriften über die gesamtschuldnerische Haftung.
  • Die Muttergesellschaft kann für nachteilige Auswirkungen einer Tochtergesellschaft haftbar gemacht werden, wenn diese Tochtergesellschaft aufgelöst wurde und keinen anderen Rechtsnachfolger hat.

 

  1. Zeit für die Übertragung der Verordnung ins nationale Gesetz: Mitgliedsländer müssen die Verordnung innerhalb von 2 Jahren nach dem Inkrafttreten umsetzen.