Pressemitteilung: Europaparlament stimmt am Donnerstag für modernisiertes Abkommen mit Chile

Straßburg, 27. Februar 2024

Am Donnerstag stimmt das Europaparlament über die Modernisierung des Rahmenabkommens inklusive eines vorläufigen Handelsabkommens mit Chile ab. Es wird eine klare Mehrheit für beide Abkommen erwartet. Die Grüne Fraktion wird allerdings gegen das modernisierte Rahmenabkommen stimmen, weil es ein veraltetes Investitionsgerichtssystem enthält und sich bei dem Handelsabkommen enthalten, weil es unzureichenden Schutz vor Schäden an der Umwelt und dem Klima enthält.

Anna Cavazzini, Grüne Schattenberichterstatterin und handelspolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament, kommentiert diese Abstimmung wie folgt:

“Das modernisierte Handelsabkommen mit Chile verfehlt leider die Chance, den neuen Goldstandard für Nachhaltigkeit zu erfüllen. Gerade weil der Abbau der dringend benötigten Rohstoffe so umweltschädlich ist und mit verschiedenen Menschenrechtsverletzungen einher geht, hätte es Nachhaltigkeitsstandards mit Biss statt eines zahnlosen Tigers gebraucht. 

Auch führt das Abkommen ein veraltetes Investitionsgerichtssystem ein, das fossilen Unternehmen die Chance gibt, gegen jegliche Klima- und Umweltpolitik zu klagen. Die chilenische Regierung wollte Reformen im Investitionsschutz durchsetzen – leider hat hier die Kommission in den Verhandlungen gemauert. 

Das Abkommen enthält einige positive Elemente, wie ein Kapitel über Gender und Handel und zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen. Das alleine reicht für uns allerdings nicht für eine Zustimmung aus. Wir Grüne/EFA werden uns weiter für wirklich nachhaltige Handels- und Investitionsschutzabkommen einsetzen.” 

 

Hintergrund: 

Derzeit werden die Beziehungen zwischen der EU und Chile durch das Assoziierungsabkommen (AA) von 2002 geregelt. Teil davon ist ein umfassendes Freihandelsabkommen, das seit 2003 in Kraft ist.

Die EU ist nach China und den USA der drittgrößte Handelspartner Chiles, auf den im Jahr 2020 12 % des gesamten chilenischen Handels entfallen. Die chilenische Wirtschaft ist in hohem Maße vom internationalen Handel abhängig, der im Jahr 20212 64 % des chilenischen BIP ausmachen wird.  Die drei wichtigsten Exportgüter Chiles sind pflanzliche Erzeugnisse, insbesondere wettbewerbsfähige und kontrasaisonale Agrarerzeugnisse, sowie mineralische Erzeugnisse und Basismetalle wie Kupfer und Lithium.

Am 9. Dezember 2022 gaben die EU und Chile den Abschluss der Verhandlungen über ein neues Freihandelsabkommen bekannt, mit dem das bestehende Abkommen modernisiert wird. Chile ist ein strategischer Partner der EU. Chile ist einer der weltweit wichtigsten Lieferanten von Lithium – es deckt bis zu 84 % des Gesamtbedarfs der EU – und ein großer Lieferant von Kupfer, zwei wichtigen Materialien, die für die Herstellung sauberer Technologien und elektronischer Geräte benötigt werden. Es ist jedoch zu beachten, dass beide Rohstoffe im Rahmen des bestehenden Abkommens bereits liberalisiert sind.

Chile hat Freihandelsabkommen mit den USA (2004), der EFTA (2004), Korea (2004), China (2006) und der Türkei (2011) geschlossen und ist auch Mitglied des Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (CPTPP).

Rechtsstruktur und Ratifizierung: Das Abkommen ist gemischt (Handel, Investitionsschutz und Elemente der politischen Zusammenarbeit). Um das Risiko einer Nichtratifizierung zu vermeiden, hat die Kommission vorgeschlagen, das modernisierte Abkommen in zwei parallele Rechtsinstrumente aufzuteilen:

  1. Das gesamte Rahmenabkommen, das a) die Säule „Politischer Dialog und Zusammenarbeit“ und b) die Säule „Handel und Investitionen“ (einschließlich Investitionsschutzbestimmungen) umfasst und
  2. ein Interims-Freihandelsabkommen (iFTA), das nur die Teile der Handelssäule des umfassenden Abkommens abdeckt, die in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen, mit einem Ratifizierungsverfahren nur für die EU. Das iFTA wird auslaufen, wenn das umfassende Abkommen in Kraft tritt.

Die Kommission hat bei der Modernisierung des Abkommens zwischen der EU und Mexiko den gleichen Ansatz gewählt.

Inhalt des Abkommens in den wichtigsten Punkten: 

  1. Zölle und Quoten von Gütern: Mit dem neuen Abkommen werden 96 % der noch nicht liberalisierten Zolltarifpositionen auf chilenischer Seite und 66 % auf Seiten der EU über einen Zeitraum von maximal sieben Jahren liberalisiert. Dies bedeutet, dass über 95 % des Handels zwischen der EU und Chile zollfrei sein werden. Chile wird unter anderem den Handel mit Milcherzeugnissen und Lebensmittelzubereitungen aus der EU liberalisieren. Die bestehenden Zollkontingente für EU-Käse und für chilenische Getreideerzeugnisse, Zuckerwaren, Schokolade, Süßgebäck und zubereitete Pilze bleiben vorübergehend bestehen, werden aber im Rahmen des neuen Abkommens spätestens sieben Jahre nach Inkrafttreten des modernisierten Abkommens endgültig liberalisiert.

Ausnahmen werden nur für sehr empfindliche Erzeugnisse beibehalten, nämlich für Zucker auf beiden Seiten und für Bananen und Reis auf der EU-Seite. Die Präferenzbehandlung, die derzeit für chilenisches Obst und Gemüse gilt, das dem Einfuhrpreissystem der EU unterliegt, bleibt unverändert.

  1. Investitionsschutz: Das modernisierte Abkommen enthält ein Kapitel über Investitionsschutz (ICS). Das Kapitel ähnelt dem ICS von CETA. Die Schutzstandards für Investoren enthalten die Verpflichtungen zu „fairer und gerechter Behandlung“ und „indirekter Enteignung“, also weit über die Nichtdiskriminierung hinaus, die den Schiedsrichtern immer noch einen großen Interpretationsspielraum lassen und das Risiko bergen, das legitime Recht auf Regulierung für öffentliche Behörden zu beeinträchtigen. Darüber hinaus ist der Anwendungsbereich des Konzepts der „erfassten Investitionen“ weiter gefasst als der des CETA. Er schützt spekulative Investitionen wie Termingeschäfte, Optionen und andere Derivate sowie kurzfristige Investitionen wie Portfolioinvestitionen, die keine wesentliche Präsenz des Investors in Chile voraussetzen. Darüber hinaus ermöglicht es den Schutz von Investitionen in fossile Brennstoffe und andere umweltschädliche Wirtschaftstätigkeiten.

Dieses Kapitel wird durch eine gemeinsame Ad-hoc-Auslegungserklärung ergänzt, in der die Parteien klarstellen, dass das ICS-Tribunal die Verpflichtungen der Parteien im Rahmen des Pariser Abkommens und ihre jeweiligen Klimaneutralitätsziele gebührend berücksichtigen sollte. Dies zeigt den Mangel an ausreichenden Garantien innerhalb des Abkommens.

  1. Nichttarifäre Maßnahmen, einschließlich nichttarifärer Handelshemmnisse, werden weiter abgebaut, neue nichttarifäre Handelshemmnisse werden verhindert, und gute Regulierungspraktiken werden gefördert. Technische Handelshemmnisse (TBT) werden durch umfassende Bestimmungen angegangen, die über das WTO-TBT-Übereinkommen hinausgehen. Dazu gehört auch ein Anhang über Kraftfahrzeuge. Das Kapitel über gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen wird aktualisiert und der Geltungsbereich auf alle Produkte ausgeweitet, die gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen unterliegen.
  2. Handel mit Dienstleistungen: Dienstleistungen werden im Rahmen eines hybriden Listenkonzepts liberalisiert. Zu den liberalisierten Dienstleistungen gehören: Zustellung (Post und Kurierdienste), Telekommunikation, Seeverkehr und Finanzdienstleistungen. Für die EU entspricht der Grad der Liberalisierung der Dienstleistungen im Wesentlichen dem Liberalisierungsgrad, der mit dem Vereinigten Königreich im Rahmen des TCA und des Freihandelsabkommens mit Neuseeland, mit Mexiko usw. vereinbart wurde. Für Chile entspricht das Liberalisierungsniveau dem des CPTPP, aber der Text zwischen der EU und Chile geht im Bereich der Finanzdienstleistungen weiter, was den künftigen politischen Spielraum Chiles weiter einschränkt.
  3. Energie und Rohstoffe: Rohstoffe wie Lithium und Kupfer sind bereits im Rahmen des aktuellen Freihandelsabkommens liberalisiert (2017 machte Kupfer beispielsweise 45,5 % der chilenischen Ausfuhren in die EU aus), daher wird das modernisierte Abkommen in dieser Hinsicht keine Auswirkungen haben. Die Auswirkungen werden sich aus nichttarifären Maßnahmen ergeben, vor allem aber durch Handelsdisziplinen im Kapitel WKM wie die Abschaffung von Ausfuhrbeschränkungen, Monopolen oder doppelten Preisen, die den politischen Spielraum Chiles verringern werden.
  4. Nachhaltige Lebensmittelsysteme: Das Kapitel über nachhaltige Lebensmittelsysteme ist dem der EU und der Neuseeland sehr ähnlich, außer dass es einen Artikel über den Tierschutz, die Bekämpfung der Resistenz gegen antimikrobielle Mittel und den Kampf gegen Betrug in der Lebensmittelkette enthält. Er enthält Bestimmungen zur Zusammenarbeit, die jedoch nicht durchsetzbar sind. Es enthält auch klare Verweise auf die Anerkennung der Zusammenhänge „zwischen den derzeitigen Lebensmittelsystemen und dem Klimawandel“ und die Notwendigkeit, zusammenzuarbeiten, um die nachteiligen Auswirkungen der Lebensmittelkette auf die Umwelt zu verringern.
  5. Kapitel zu Handel und nachhaltiger Entwicklung (TSD): Im Allgemeinen ist das TSD-Kapitel EU-Chile ergebnisorientiert und geht in diesem Sinne in die Richtung des TSD-Kapitels der EU und Neuseelands. Im Gegensatz zu letzterem sind das Pariser Abkommen und die IAO-Kernübereinkommen jedoch keine wesentlichen Elemente, da sie nicht unter das allgemeine Streitbeilegungskapitel des Abkommens fallen. Darüber hinaus wird in der chilenischen TSD der IPCC-Bericht über die globale Erwärmung um 1,5 Grad nicht erwähnt. Das Kapitel ist auch schwächer als das in dem Handelsabkommen mit Neuseeland, da es keine Verpflichtung gibt, Handlungen oder Unterlassungen zu unterlassen, die das Ziel und den Zweck des Pariser Abkommens wesentlich beeinträchtigen. Das Kapitel wird durch eine gemeinsame Ad-hoc-Erklärung ergänzt, in der sich die Parteien verpflichten, innerhalb von 12 Monaten nach Inkrafttreten des Interims-Freihandelsabkommens eine Überprüfung des TSD-Kapitels vorzunehmen, die zeigt, wie wenig ambitioniert das Abkommen ist.
  6. Handel und Geschlechtergleichstellung: Die Gleichstellung der Geschlechter wurde bereits als Artikel in das TSD-Kapitel zwischen der EU und Neuseeland aufgenommen. Das Abkommen zwischen der EU und Chile hat im Vergleich dazu ein viel ausführlicheres Kapitel, das jedoch weiterhin auf Zusammenarbeit und nicht auf einklagbaren Mechanismen basiert.

 

Die Plenardebatte ist am Donnerstag für 9:00 Uhr und die Abstimmung für 12:00 Uhr angesetzt: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/OJQ-9-2024-02-29_EN.html.